Ein Betriebsrat kann nicht wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten aufgelöst werden, wenn er nach dem Untergang des Betriebs nur noch ein Restmandat innehat. Möglich ist aber der Ausschluss eines Mitglieds aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten in dem Sinn, dass es von der Wahrnehmung des Restmandats ausgeschlossen ist.
(Beschluss des BAG vom 24.05.2023 – 7 ABR 21/21; Leitsatz des Gerichts)
Die zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Arbeitgeberinnen betrieben einen Gemeinschaftsbetrieb, für den ein Betriebsrat gebildet war. Die Konzernobergesellschaft entschied im April 2018, dass der operative Betrieb des Gemeinschaftsbetriebes zum April 2019 eingestellt wird. Nachdem die Verhandlungen zwischen den Arbeitgeberinnen und dem Betriebsrat über Interessenausgleich und Sozialplan scheiterten, hörten die Arbeitgeberinnen den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen an. Der Betriebsrat widersprach allen Kündigungen, die Kündigungen wurden trotzdem ausgesprochen. Eine Vielzahl der Beschäftigten erhob hiergegen Kündigungsschutzklagen. Im Dezember 2018 wandte sich der Betriebsratsvorsitzende per E-Mail an die ihm bekannten Prozessbevollmächtigten der gekündigten Beschäftigten. In dieser E-Mail teilte er zum Einen die Rechtsauffassung des Betriebsrats, dass es sich um einen Teilbetriebsübergang handele, zu den Kündigungen mit. Zum Anderen wurde dort ein Link zur Verfügung gestellt, der nicht passwortgeschützt war und den Zugriff auf Daten im Umfang von 150 MB ermöglichte. Diese Daten sollten es den Prozessbevollmächtigten ermöglichen, die Rechtsauffassung des Betriebsrats für die Beschäftigten in den gerichtlichen Verfahren zu begründen und durchzusetzen. Teil der Daten waren dabei auch personenbezogene und sensible Daten der von den Kündigungen betroffenen Beschäftigten; eine Einwilligung der Beschäftigten hierzu lag nicht vor. Der Ordner mit den Daten war in einer Cloud eines privaten Anbieters gespeichert. Der Gemeinschaftsbetrieb wurde wie geplant stillgelegt. Der Spruch der Einigungsstelle über einen Sozialplan aus Dezember 2019 wurde, nach Anfechtung durch die Arbeitgeberinnen, vom Bundesarbeitsgericht im Februar 2019 für unwirksam erklärt. Das Verfahren vor der Einigungsstelle war daher erneut durchzuführen.
Im März 2019 leiteten die Arbeitgeberinnen ein Beschlussverfahren ein und beantragten in diesem die Auflösung des Betriebsrates und hilfsweise den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat. Begründet wurde dies damit, dass der Betriebsrat aufgrund der Weitergabe der personenbezogenen und sensiblen Daten in grober Weise gegen seine gesetzlichen Pflichten verstoßen habe. Daneben liege hierin ein grober Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Denn mit der Zurverfügungstellung der Daten habe der Betriebsrat die Arbeitgeberinnen schädigen und die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung verhindern wollen. Jedenfalls sei der Betriebsratsvorsitzende aufgrund der zur Verfügungstellung der Daten aus dem Gremium auszuschließen. Der Betriebsrat hat dem entgegnet, dass er erst im Nachgang vom Betriebsratsvorsitzenden über die E-Mail und die über den Link abrufbaren Daten informiert wurde. Deren Bereitstellung sei nur erfolgt, um allen gekündigten Beschäftigten aufgaben- und pflichtgemäß bei der Geltendmachung ihrer Rechte in den Kündigungsschutzprozessen zu unterstützen. Zudem könne der Betriebsrat im Rahmen des zwischenzeitlich aufgrund der Stilllegung eingetretenen Restmandats nicht aufgelöst werden. Schließlich sei der Betriebsratsvorsitzende davon ausgegangen, dass er die Informationen zur Unterstützung der Beschäftigten hätte weitergeben dürfen.
Das ArbG Iserlohn gab dem Auflösungsantrag statt, das LAG Hamm hob im Juni 2021 den Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts auf und wies beide Anträge der Arbeitgeberinnen ab. Begründet hat es dies damit, dass der Auflösungsantrag in § 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BetrVG auf den Betriebsrat im Restmandat gem. § 21b BetrVG keine Anwendung finde. Ein Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Gremium gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BetrVG scheide schon aufgrund des Zeitablaufs aus, eine Entfernung aus dem Betriebsrat komme fast zwei Jahre nach dem gerügten Vorfall nicht in Betracht. Eine Entscheidung über die Frage, ob auch im Restmandat ein Ausschluss aus dem Betriebsrat möglich sei, brauche daher nicht entschieden werden. Die von den Arbeitgeberinnen gegen den Beschluss des LAG Hamm verfolgte Rechtsbeschwerde an das BAG hatte teilweise Erfolg.
Zunächst hat das BAG die Entscheidung im Hinblick auf den Auflösungsantrag bestätigt. Begründet hat es dies unter anderem damit, dass der Betriebsrat im Restmandat, anders als im Vollmandat, in seinen Aufgaben funktional, nicht zeitlich begrenzt sei. Bei einem Betriebsrat im Vollmandat komme auch eine Neuwahl nach Auflösung in Betracht, im Restmandat sei dies nicht möglich. Es fehle insoweit an einem Betriebsrat, der den Wahlvorstand bestellen könnte. Auch eine gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes scheide aus, da der Betrieb bei Betriebsuntergang gerade nicht mehr weiter fortbesteht. Sollte ein Auflösungsantrag erfolgreich sein, könnte es, mangels einer Neuwahlmöglichkeit dazu kommen, dass gar kein Betriebsrat mehr besteht. Der Betriebsrat im Restmandat habe aber insbesondere die gesetzlich in § 21b BetrVG angeordnete Aufgabe, die im Rahmen eines Betriebsuntergangs bestehenden, letztlich limitierten, Mitbestimmungsrechte (§§ 111, 112 BetrVG) wahrzunehmen. Dieses gesetzliche Ziel würde aber verhindert, wenn die Möglichkeit eines Auflösungsantrags bestehe; § 23 1 S. 1 Alt. 2 BetrVG könne daher nicht auf den Betriebsrat im Restmandat angewendet werden. Hieraus resultiere aber nicht, dass die Mitglieder des Betriebsrats im Restmandat einen Freibrief im Hinblick auf ihre Mandatswahrnehmung hätten. Erfolge durch diese ein grober Verstoß gegen gesetzliche Pflichten, der den Ausschluss aus einem Betriebsrat im Vollmandat gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BetrVG begründen könnte, komme dies auch im Hinblick auf Mitglieder eines Betriebsrats im Restmandat in Betracht. Der reine zeitliche Ablauf stehe einer solchen Annahme, entgegen dem LAG Hamm, nicht entgegen. Da das LAG Hamm sich nicht konkret damit befasst hat, ob dem Betriebsratsvorsitzenden tatsächlich grobe Verstöße gegen gesetzliche Pflichten im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BetrVG vorgehalten werden können, hat das BAG die Entscheidung über diesen Antrag zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und Entscheidung an das LAG Hamm zurückverwiesen.
Fazit:
Das BAG hat mit seiner Entscheidung Neuland betreten. Zunächst konsequent und zutreffend hat es die Anwendung des § 23 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BetrVG auf den Betriebsrat im Restmandat aufgrund dessen besonderer gesetzlich angeordneter Stellung abgelehnt. Gerade im Hinblick auf seine eigenen Ausführungen zur Wahrnehmung von weiter bestehenden (eingeschränkten) Mitbestimmungsrechten geht die Ausschlussmöglichkeit einzelner Mitglieder des Betriebsrats im Restmandat zu weit. Denn über diesen Weg kann der Arbeitgeber am Ende, zumindest theoretisch, schon erreichen, dass ein Betriebsrat, der insbesondere die Rechte nach §§ 111, 112 BetrVG verfolgen kann, nicht mehr besteht. Der Fall zeigt aber insbesondere auch auf, dass der Betriebsrat und seine Mitglieder, unabhängig ob der Betriebsrat im Voll- oder Restmandat besteht, unbedingt darauf achten sollten, personenbezogene und sensible Daten von Beschäftigten nicht an Dritte weiterzureichen. Denn hier kann eine sicherlich gut gemeinte Hilfestellung leicht zu einem Bumerang werden.
Fabian Wilden, Rechtsanwalt
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